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  • Klaudia Frechen

Weinselige Aktienkäufe im Zug



Das Thema Bahnfahren lässt mich nicht los.

Kein Wunder, da ich jeden Monat mindestens einmal von Nord nach Süd und von Süd nach Nord fahre.

Und überhaupt: Wo sonst erlebt man zu Coronazeiten noch etwas Aufregendes?

Sie meinen, ich könnte ja an den wöchentlichen „Spaziergängen“ teilnehmen, wenn ich das dringende Bedürfnis nach Aufregung habe? Nein, kommt mir gar nicht in den Sinn. Da fahre ich doch lieber Bahn.


Diesmal bin ich von Nord nach Süd unterwegs.

In meinem Abteil sitzen zwei jüngere Herren, 30 Jahre alt, wie ich später erfahre.

Sie tragen ihre Masken unter dem Kinn, so dass ich sie zunächst einmal bitte, sie richtig aufzusetzen, bevor ich ins abgetrennte Teil des Wagens trete. Danke!


Meinen Koffer wuchte ich alleine in die Gepäckablage.

Die Herren haben wohl keine Lust, mir ihre Hilfe anzubieten.

Aber sie haben Lust, ein Gläschen Wein zu trinken und mir davon etwas anzubieten.

Zwei Flaschen sind mit von der Partie.

Ich lehne dankend ab und ahne, dass mir Schlimmes bevorsteht.

Um dem Elend zu entgehen, schwanke ich völlig nüchtern durch den Zug, auf der Suche nach freien Plätzen. Leider ist er voll besetzt und mir bleibt nichts anderes übrig als wieder mein Abteil aufzusuchen, in dem es schon nach Kneipe riecht.


Die Herren unterhalten sich.

Land verkauft man nicht. Das behält man. Das hat Opa schon gesagt.

Deshalb verpachtet der eine sein Land an einen Landwirt, der es erfolgreich bestellt.

Der andere baut gerade irgendeine Industrie-Immobilie auf seinem Grund und Boden. Außerdem hat er gerade eine Firma gekauft. Apropos kaufen: Sollte der eine evtl. diese Aktie kaufen? Was meint der andere?

Ja, aber nicht sofort.

Geht nicht.

Die Börse ist noch geschlossen.

Erstmal kucken.

In zehn Minuten macht sie auf.

Dann geht´s los.

Zehn Minuten später ist die erste Flasche leer.

Herr „Eine“ versucht 400 Aktien a 36 Euro zu kaufen, was ihm nicht gelingt, da das Netz so schlecht ist.

Scheiß Deutschland! Scheiß Deutschland. Selbst in Albanien ist das Netz besser!

Ich denke nur, dass dort das Netz zwar besser sein mag, aber … muss ich das hier erklären? Nein! Sie verstehen mich schon.

Er bittet seine Schwester die Aktien für ihn zu kaufen, aber die hat keine Lust. So früh solle er sie nicht mehr belästigen, gähnt sie ins Telefon.

Also kauft Herr „Eine“, als das Netz wieder besser ist, selbst mal eben für 14.400 Euro Aktien.


Wenn sie am Zielort angekommen sind, werden beide ein Auto abholen.

Ein geiles Teil.

Kostet nur 180.000 Euro.

Ein echtes Schnäppchen.


Die zweit Flasche Wein wird geöffnet.

Man will mit dem Taxi zum Schnäppchen fahren. Kostet bestimmt 120 Euro.

Ach! Den Fahrer handeln sie doch locker auf 80 Euro runter!

Klar! Irgendwie muss man ja zu den 180.000 Euro für das Auto kommen.


Das Telefon der beiden steht nicht still. Es wird gehandelt, verkauft und gekauft.

Masken verrutschen, werden abgelegt – bis ich den Schaffner hole, der den beiden den Rauswurf und ein Bußgeld androht.


Leider steigen die Herren erst eine Stunde vor meinem Ziel aus, so dass ich das außerordentlich zweifelhafte Vergnügen habe, mir das überlaute Gerede 6 Stunden lang anzuhören. Weghören geht leider nicht. Ich versuche zu schlafen, zu lesen oder mich anderweitig abzulenken. Nichts davon klappt wirklich, alle Versuche gehen im Getöse der jungen Mitreisenden unter.


Es werden Massagen und ein Tisch für abends gebucht.

Eine Freundin soll besucht werden.

Sie teilt ihnen am Telefon mit, dass sie leider nur noch 5 Flaschen Gin im Haus hat.

Aber man kann ja was bestellen.


Irgendwann stellen sie sich die Frage, ob sie Quartett spielen sollen.

Gefragt, getan.

Hubraum und Größe von Autos werden verglichen.

Laut johlend und „Du Arschloch“ rufend werden Karten hin und her geworfen.


Und die zweite Flasche wird geleert.

Sie gesellt alsbald zur ersten, die achtlos auf dem Boden gelandet ist und im Abteil herumkullert. Nun kullern zwei.


Ich frage mich zwischendurch, ob ich das Ganze ernst nehmen soll oder ob das alles Theater ist. Nein, ich befürchte, dass dies der Wahrheit entspricht, die ich trotzdem nicht ernst nehmen kann.

Da sitzen zwei völlig unerzogene Jungs, die wirklich einiges an Kohle in der Tasche haben und die mich sehr mit ihrem schlechten Benehmen und ihrer Respektlosigkeit beeindrucken.

Ganz offensichtlich garantiert Reichtum keine gute Erziehung oder irgendwelche sozialen Kompetenzen. (Nicht, dass ich das nicht vorher gewusst hätte)


Als die zwei das Abteil verlassen, hinterlassen sie ein Schlachtfeld.

Der Boden ist übersät mit leeren Snacktüten und Pappbechern.

Die Weinflaschen rollen weiter über den Boden und knallen in jeder Kurve mit einem lauten „Kling“ aneinander. Auf dem Tisch liegt eine angebissene Brezel…


An meinem Ziel angelangt, verlasse ich erleichtert den Zug.

Meine Brot-Tüte und meine Wasserflasche nehme ich mit.

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