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  • Klaudia Frechen

Stille




Das letzte Dorf liegt weit hinter mir und ich genieße die Fahrt durch uralte Weinfelder - ein Lächeln auf meinem Gesicht und in meinem Herzen, weil ich weiß, dass ich mir immer näher komme. Ich will dorthin, wo nichts und doch alles ist.


Es geht hinauf in die Berge.

Trocken, gelb von der Hitze und dem Licht des Südens.

Wenn ich aussteige, schlägt mir die Wärme entgegen und lässt mich tief Luft holen. Die Sonne blendet mich, so dass ich zunächst einmal blinzelnd dastehe und Orientierung suche.

Das unermüdliche Konzert der Grillen und Zikaden dröhnt in meinen Ohren. Ihre Symphonien sind verwoben mit dem leisen Gesang des Windes in den Wipfeln der Bäume und der Garrigue.


Ich suche und finde meinen Felsen, einen Brocken, der hingeworfen in der Sonne döst und mich mit seiner Wärme empfängt. Nachdem ich mich auf ihm niedergelassen habe, lasse ich meinen Blick hinab ins Tal schweifen. Noch zu bewegt, um die Augen zu schließen.

Ein Potpourri verschiedenster Düfte gesellt sich zum ewigen Lied der Natur. Hier duftet es nach wildem Thymian, dort nach Rosmarin. Dann und wann umweht mich ein Hauch von Verbene oder auch Lavendel. So zart und doch die Sinne betäubend.


Mit geschlossenen Augen und ausgebreiteten Armen atme ich tief ein, lasse mich berühren. Ich öffne meine Seele weit, begrüße den Sommer des Südens und weine über das unsägliche Glück endlich wieder hier sein zu dürfen.

Alle meine Sinne laben sich an dem, was ihnen geboten wird. Sie trinken diesen unermeßlichen Reichtum wie Verdurstende, die allzulange auf das lebensspendende Elixier verzichten mussten.


Der Wind durchdringt mich mit seiner säuselnden Kraft, um mich von den gröbsten Lasten zu befreien und sie mit sich zu nehmen. Mein Blick wird klarer und meine Seele leichter.


Ein paar Stunden später fahre ich die schattige, geschwungene Allee durch den herrlichen, uralten Park hinab zum Haus.

Das ehemalige, mehr als 900 Jahre alte Kloster mit all seinen Anbauten wird in den nächsten Wochen mein Zuhause sein. Hier, unter diesem unbescheiblich lavendel-blauen Himmel, verbringe ich den Sommer, finde zu mir zurück.


Der „alte Mann“, wie ich das Haus nenne - so wissend und weise, unverrückbar, stark - empfängt mich mit seinem Frieden, seiner unendlichen Ruhe und einer Schönheit, die mich seit vielen Jahren immer wieder aufs Neue staunen lässt.

Jeder Stein, der mehr als einen halben Meter dicken Mauern, hat viele Geschichten zu erzählen. Doch geschieht dies nicht schreiend laut und mit viel Hektik. Leise und achtsam, um seine Bewohner nicht zu erschrecken, vertrauen sie denen, die für solche vergangenen Erzählungen ein offenes Ohr und mehr noch ein offenes Herz haben, ihre Erlebnisse an. Abends, wenn die Sonne ein Erbarmen hat und die Konturen in weicherem Licht sanfter erscheinen, wirkt das Haus oft wie mit flüssigem Honig übergossen. Ja selbst, wenn die Sonne hinter den Bergen verschwindet, leuchtet es weiter – wird selbst zu einer sanften Sonne.


Ich atme den Frieden, die Ruhe und die Schönheit, mit der alles um mich herum erfüllt ist, tief ein. Dann sitze ich vor dem großen Haus und beobachte wie der Mond hinter den umliegenden Bergen auftaucht und begleite ihn ein Stück seines Weges am Himmel. Sehe zu, wie er ein wenig zwischen den Wipfeln der großen, alten Pappeln verweilt und dann weiter seines Weges zieht.

Jetzt scheint die Welt den Atem anzuhalten. Die Grillen und Zikaden beenden ihr Konzert, bereit am nächsten Tag wieder alles zu geben. Nichts rührt sich, kein Windhauch bewegt die Bäume. Gerade so als wollten sie das Licht und die besondere Atmosphäre, in der die Welt genussvoll badet, nicht vertreiben.


Später blitzt oft eine Sternschnuppe am Himmel auf. Manchmal auch viele.

Ein Kautz, der im Park wohnt, lässt seinen Ruf über die Weinfelder schallen und begrüßt mich ebenfalls. Er lässt mich wissen, dass er immer noch da ist.


Hier, in mitten von Weinfeldern, fernab jeglichen Trubels, entdecke ich mich wieder.

Hier im Nichts finde ich Alles.

In der Stille und schützenden Abgeschiedenheit des Ortes zerrt weder ein Telefon noch irgendetwas anderes an mir. Ich stürze mich nicht kopfüber in die nächstbesten touristischen Aktivitäten. Das habe ich längst hinter mir.


Hier höre ich auf zu funktionieren.

Hier kann ich einfach nur sein.

Ich finde Klarheit, Frieden und Orientierung.

Stille.

Lasse Altes los.

Atme.

Lebe.



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