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  • Klaudia Frechen

Ich bin dann mal Egoistisch



Soweit ich zurückdenken kann, war ich um andere bemüht. Zunächst war ich eine Vorzeigeschülerin, dann war ich fast mein ganzes Leben lang sozial engagiert und um das Wohl meiner Freunde und Familie besorgt.

Jetzt kümmere ich mich mal um mich selbst.


Das ist leichter gesagt als getan, denn ich weiß gar nicht so richtig wie das funktioniert:

Selbstfürsorge.

Habe ich es jemals gewusst?

Nein, ich glaube nicht wirklich.

Als Mädchen war es wichtig still, brav und lieb zu sein und das zu tun, was die Erwachsenen von mir erwarteten und so achtete ich kaum auf meine eigenen Wünsche. Leider war ich in guter Gesellschaft, denn ich glaube, dass es vielen Frauen in meinem Alter ähnlich ergangen ist.

Ich habe meine eigenen Bedürfnisse so missachtet, wie ich die Wünsche anderer niemals missachtet hätte und später habe ich sie einfach vergessen.


Jetzt möchte ich mich daran erinnern, was ich vom Leben erwarte und was meine Wünsche oder Ziele waren und sind. Welche davon sind mir heute noch wichtig? Welche nicht?


Fast Food

Es geht bei meinem Vorhaben nicht darum, Zeit für ein ausgiebiges Bad zu finden oder darum eine entspannende Gesichtsmaske aufzutragen, um die Akkus möglichst schnell und effektiv aufzuladen. Es geht nicht darum funktionstüchtig zu sein.

Es geht nicht um Fast-Food für die Seele, schnell konsumiert.

Ich möchte ein Leben leben, in dem es um mich geht.

Das klingt zunächst einmal furchtbar egoistisch.

Aber ist es das tatsächlich?

Ich glaube fast, dass es das nicht ist. Mit Bestimmtheit sagen kann ich es aber nicht. Mal schauen …


Ja zu mir selbst

Wie schaffe ich es zu mir selbst zu stehen? Ja zu mir zu sagen? Und das nicht nur wenige Minuten am Tag, wenn ich Musik höre, sondern immer… oder immer öfter.


Ich habe mich gefragt, wie ich einem Freund helfen würde.

Ich würde ihm zu hören.

Das tat ich.

Ich hörte, lauschte in mich hinein - und war erstaunt über das, was ich da alles zu hören bekam.


Das allererste, was mir auffiel war, wie achtlos ich mit meinem Körper umging. Er brauchte dringend Fürsorge, anderes Essen und mehr Bewegung.

Ich beschloss, mich endlich gegen meine ganzen Allergien desensibilisieren zu lassen, die mich inzwischen das ganze Jahr plagen.

Bisher habe ich es nicht in Betracht gezogen, weil immer irgendetwas war.

Nie war Zeit für die ganze Fahrerei zum Arzt, weil irgendjemand aus der Familie immer hierhin und der nächste dorthin gefahren werden musste.

Jetzt nehme ich mir diese Zeit einfach.


Dann cancelte ich mein Frühstück, das ich noch nie mochte.

Bis jetzt hatte ich meinen Tag mit Brot oder Müsli begonnen, da ich meinen Kindern ja mit guten Beispiel voran gehen wollte.

Ab jetzt gibt es nur noch Tee und Kaffee.

Und man wird es kaum glauben: Seit das Mittagessen mein erstes Mahl des Tages ist, geht es mir bestens.

Mir fehlt weder die Kraft für den Tag noch knurrt mir ständig der Magen.

Nein! Ich fühle mich pudelwohl.


Weniger ist mehr

Ich habe meine Ernährung inzwischen komplett umgestellt, meine Kalorienzahl reduziert und Intervall-Fasten zu meiner Ernährungsphilosophie auserkoren.

Ich esse nur noch von 11.00 Uhr bis 18.00 Uhr und fühle mich so fit, wie selten im Leben. Ich schlafe besser, fühle mich gesünder und stärker.

Es gelingt mir tatsächlich ohne Schokolade, Eis und andere Süßigkeiten auszukommen. Selbst das abendliche Glas Wein fehlt mir überhaupt nicht.

Kurz gesagt: Ich habe inzwischen 15 kg abgenommen und fühle mich so viel wohler in meinem Körper, als noch vor wenigen Wochen, dass es eine Wonne ist!

Weniger ist tatsächlich so viel mehr und tut zum Jauchzen gut.


Gute-Laune-Treat

Aber um mich wieder beweglich und noch gesünder zu fühlen, mich nicht mehr mit jedem Schritt atemlos die Treppe hoch zu quälen, fehlt noch etwas.

Sport.

Zunächst verfiel ich mal wieder in alte Muster, passte mich anderen an.

Ich tat das, was alle taten und rieten: Ich versuchte es mit Spazierengehen, Joggen. Schrecklich!

Ich hatte nach jeder sportlichen Betätigung so große Schmerzen, dass ich nachts nicht schlafen konnte. Aber man riet mir weiterhin dranzubleiben. Das werde schon.

Ich wäre schließlich völlig untrainiert. Ich solle mir Zeit geben.

Vor drei Wochen warf ich alle guten Ratschläge über Bord, hörte auf meinen Körper und bewege ich mich seit diesem Tag tanzend mindestens 6000 Schritte in ein neues waches, bewegliches und fittes Leben hinein.

Tanz wird für mich zum Gute-Laune-Treat, zum Tor in einen glücklichen Tag, zum Ersatz für jedes Glas Wein und jedes Stück Schokolade.

Ja! Tatsächlich! Versucht es mal! Es funktioniert!

Das, was früher einen großen Teil meines Lebens ausmachte, gehört endlich wieder dazu.

Wie habe ich es vermisst!


Mir die Zeit für das zu nehmen, das nicht nur fit macht, sondern auch für ein ständiges Lächeln auf meinem Gesicht sorgt, nämlich für den Tanz, fällt mir immer noch nicht leicht.

Das gilt auch für das für mich so wichtige Schreiben oder Singen.

Es gibt immer wieder andere Dinge, die wichtiger erscheinen.

Ein „Mama-kannst-du-mal…“ führt oft dazu, dass ich mich frage, ob ich mich nicht doch besser erst einmal um die Wünsche des Fragenden kümmere, anstatt „schon wieder“ nur an mich zu denken, egoistisch zu sein.

Ein riesiger Wäscheberg schafft es immer noch viel zu oft, sich zwischen mich und das Schreiben zu stellen.


Seelenkater

Aber ich werde immer besser darin, mich nicht nur funktionstüchig halten zu wollen, sondern auch für mich zu sorgen.

Ich beginne meine eigenen Wünsche und Bedürfnisse zu achten, so wie ich es bei anderen tun würde und spüre schon jetzt, wie viel sich dadurch in meinem Leben verändert.

Es tut gut sich selbst ernst zu nehmen, zu wertschätzen und zu mögen.


Mir selbst treu zu bleiben ist aber nicht immer einfach und gelingt nur, wenn ich mich aus meiner Komfortzone heraus bewege.

Das beginnt damit, dass ich den Sport, das Tanzen, das Singen und das Schreiben auch tatsächlich mache. Nein zu all den Dingen sage, die mich davon abhalten könnten.

Zu lange habe ich mich nicht bewegt, zu festgefahren sind alle diese Gewohnheiten, die dazu führen, dass ich mich selbst völlig übersehe.

Zu lange war ich mir selbst viel zu unwichtig.

Also arbeite ich ständig daran, aus eingefahrenen Wegen auszubrechen und mir neue Wege, zugegebenermaßen zunächst noch eher Trampelpfade mit vielen Stolpersteinen, zu erschließen.

Ich lerne Grenzen zu setzen und NEIN zu sagen.

Gar nicht so leicht, wenn man darin ungeübt ist.

Wahrscheinlich steht mir der ein oder andere „Seelenkater“ bevor, genauso wie bei Sport der „Muskelkater“ noch mein ständiger Begleiter ist.


Blind Date mit mir selbst

Seit ich mich auf die Reise zu mir selbst gemacht habe, ziehe ich mich regelmäßig zurück und treffe mich zu einem Blind Date mit mir selbst.

Ich horche in mich hinein. Bin ganz offen für all das, was da wohl kommen mag.

Nicht selten staune ich über das, was sich mir zeigt. Wut, Hoffnung, Trauer, Glück, Einsamkeit, Kummer, Stolz, Angst…

All diese Dinge sind wichtig, möchten akzeptiert und geachtet werden.

Sie alle gehören zu mir.

Früher habe ich sie einfach ignoriert. Heute befinde ich mich zwar manches Mal auf einer Achterbahnfahrt – aber das ist alles besser als ständig seine eigenen Gefühle zu missachten.

Jedes Date bedeutet ein erneutes Lauschen, Resümieren des Geschafften und eine neuerliche Anstrengung, mich so zu sehen, wie ich bin und nicht wie andere mich gerne hätten.


Das Glückssparschwein

Je öfter ich mein Glückssparschwein füttere und je fetter es wird, desto schlanker werde ich. Und wann immer ich einen Selbstfürssorgetaler dort einwerfe, gewinne ich Kraft und Energie.

Die Selbstfürsorge und die liebevolle Zuwendung, die ich mir angedeihen lasse - beides übrigens immer seltener verhandelbar- tun nicht nur mir gut. Da ich viel öfter strahlend und lachend durchs Leben gehe, profitieren auch andere von meinem Egoismus. Lachen ist, wie jeder weiß, ansteckend …


Respekt

Als ich meinen erwachsenen Kindern das erste Mal von meinem Vorhaben erzählte, die Zeit der Pandemie als Lernzeit zu nutzen, um meinen Wünschen und Lebensvorstellungen mehr Raum zu geben, erntete ich großen Respekt.


Einzig der größte und mit 19 Jahren Jüngste meiner vier Kinder, fragte mich lachend und augenzwinkernd: „Aber Mama! Ich bleibe doch weiterhin dein Kleinster!? Du bist doch weiterhin meine Mama und kümmerst dich um mich, oder?“


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